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Die Berliner Zunge: „Schraders“
Multikulti für Gaumen und Auge
Ulrike Ruppel

Üppig: der Grillteller
Das „Schraders“ liegt im Herzen von Wedding. Kein Wunder, dass hier Multikulti Prinzip ist:
Afrikanische Masken und Berlin-Gemälde zieren die roten Wände, Terrakotta-Töne sorgen für mediterrane Anmutung, Buddha-Köpfe symbolisieren den asiatischen Kulturkreis, und die Deckenlampe könnte aus Omas Wohnzimmer stammen.
Zugegeben – das Interieur wirkt etwas überladen, ist aber urgemütlich. Und es passt zum Anspruch des „Schraders“, Restaurant, Café, Bar und Lounge für alle Nationen zu sein.
Auf der Karte setzt sich das bunte Nebeneinander fort: Indonesische Satéspieße (8,30 Euro), Badische Käsespätzle (6,80 Euro), Quesadillas mit Huhn (8,30 Euro) – nicht zu vergessen die Auswahl an Burgern (6,80 Euro).
Kurz: Der ideale Kompromiss, wenn man sich nicht einigen konnte, ob's italienisch, fernöstlich oder gutbürgerlich sein soll. Außerdem im Programm: Cocktail-Happy-Hours und der Sonntagsbrunch „In fünf Stunden um die Welt“ (8,50 Euro inkl. Prosecco).
Malplaquetstr. 16b, Wedding, Mo-Fr ab 15 Uhr, Sa/So ab 10 Uhr; Tel: 45082663

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Impressum/ Kontakt
Zitty Spezial, 2006
Restaurants
Schrader's
Leserbewertung: |
Küche: International
Schrader's ist in jeder Beziehung eine Oase. Als "genossenschaftliche Reforminsel im steinernen Meer Berlins" gedacht, ragt das Karl-Schrader-Haus über das architektonische Ödland Weddings hinaus. Ein großzügig begrünter Eingangshof, eine breite Fensterfront und viel Platz laden zu einem Cocktail auf den üppigen schwarzen Ledercouchen oder in der Leopardenfellsitzecke ein. Die Küche wartet mit Finger- und Fusionfood, internationalen Gerichten und einem großen Kuchen- und Frühstücksangebot auf. Es gibt eine wechselnde Wochen- und Weinkarte. Samstags von 10-15 Uhr gibt es Frühstücksbuffet für 5 Euro und sonntags von 10-16 Uhr Brunch für 8,50 Euro. In der Happy Hour von 18-20 Uhr gibt’s die Cocktails für 4,50, in der Blue Hour ab 22 Uhr für 4,80 Euro. Es gibt einen Extra-Raum, der für private Veranstaltungen mietfrei genutzt werden kann. Man muss bloß reservieren, und alle geladenen Gäste bekommen den ganzen Abend lang Happy Hour-Preise.
Stand: Redaktionsschluss "Essen Trinken Tanzen in Berlin 2005/2006"
Anschrift: Schrader's Malplaquetstr. 16b 13347 Berlin (Wedding) |
Kontakt: Telefon: 45 08 26 63 Anfahrt: UBahn: Seestraße |
Öffnungszeiten: Mo-Fr ab 15 Uhr, Sa, So ab 10 Uhr
Dieses Restaurant
- bietet vegetarische Gerichte
- hat Sitzplätze im Freien
- ist kinderfreundlich


Der Wedding kommt anders
Jetzt gibt es endlich eine Kneipe für Hungerleider, Seelchen und heimliche Millionäre
Berlin Feuilleton
"Der Wedding ist im Kommen!" Seit Jahren haben sich Unverbesserliche auf diesen Schlachtruf kapriziert. Jede Imbissbude, die im Bezirk neu aufmacht, wird auf ihr Ambiente hin inspiziert. Jeder Findling, der in den Rehbergen, dem Park vor Ort, liegt und zum Naturdenkmal erklärt wird, ist ein Lichtblick. Hoffnung keimt gar auf, wenn in der "Goldenen 77" oder dem "Deutschen Herold" ein türkischer Pop-Hit bis zum Ende läuft, ohne dass vorher die Nationalhymne angestimmt wird.
Wedding-Fans, die an ein Revival des Stadtteils glauben und da leben, sind bescheiden. Aus Mangel an Alternativen treffen sie sich in den Küchen ihrer Nachbarn und träumen. Man hätte so gerne, dass der Bezirk endlich in Kneipen-ABCs oder Kunstführern aufgeführt wird. Nun aber gibt es einen neuen Silberstreif.
",Schraders‘ heißt er", sagt die Nachbarin. Eine Bar, eine Lounge, ein Café. "Malplaquet/Ecke Liebenwalder. Zwei Schwule machen die!" Schwule? Unglaublich! Der Wedding ist doch nicht Schöneberg, nicht Kreuzberg! "Aber Mitte!" Die nachbarschaftliche Runde lacht sich ins Fäustchen. "Das mit dem Wedding, welcher nun Mitte ist, erinnert mich an meinen Onkel, der sich auf seinen Fiat über 30 nagelneue Mercedes-Sterne montiert hat", sagt eine. "Wo denn", will ihr Freund wissen. "In Moabit!" – "Die glooben ooch, dat se wat Besseret sind." Wer im Wedding wohnt und sich beim Nachbarn zum Kaffee trifft, erlebt Erstaunliches: Von fünf Anwesenden sind mindestens drei hier geboren.
Gleich am nächsten Tag wird das "Schraders" gesucht. Direkt neben dem "Süffel 2", dem "Bonbonwasser" und dem Drogeriemarkt liegt es. Die großen Fenster sind erleuchtet. "Das ist es!" Kaum die Tür hinter sich, stürmen die Unverbesserlichen auf den Kneipier zu und beglückwünschen ihn. "Toll, dass ihr das gemacht habt. Der Wedding ist im Kommen." Dann aber tritt Ernüchterung ein: "Weshalb habt ihr das denn gemacht?" Kein Zweifel: Hier sind Liebhaber am Werk. "Was ist in", haben sie ihre Freunde in aller Welt gefragt. "Kolonialstil", kam als Antwort zurück. "Unmöglich, das können wir nicht machen!"
Unweit von hier liegt das Afrikanische Viertel. Die Straßen wurden im letzten Jahrhundert nach Kamerun, Kongo, Guinea benannt, um den Bewohnern des Arbeiterbezirks die Größe des Deutschen Reiches klar zu machen. Dennoch ist die Kneipe eine Mischung aus Caféhaus- und Weltenbummlerromantik geworden. Mit Tischen im arabischen Stil, Kerzen und Blumen, goldenen Wänden, einer burgunderfarbenen Decke und einem Sofa mit Tigerfellmuster. Der Barmann kommt aus Kuba. Auf der Ifa-Nacht hat er einen Preis für seinen Cocktail namens "Schraders spezial" gewonnen. Als einem mondänen Paar das Glas mit Visitenkarte überreicht wurde, blickte die Dame auf die Adresse: "Im Wedding!" hauchte sie. "Alois, wir sind gar nicht mehr en vogue!"
Die Kneipe ist nach Karl Schrader benannt. Einem Sozialreformer und Reichstagsabgeordneten. Er hat sich im letzten Jahrhundert für Häuser mit licht- und luftdurchfluteten Hinterhöfen und großen Wohnungen mitten im Arbeiterbezirk stark gemacht. Zu bezahlbaren Mieten. Das Haus, in dem die Kneipe ist, ist so eins. Einer der Räume war früher der Tanzsaal. Später dann SA-Schenke, zuletzt eine Kaschemme mit Drogen- und Menschenhandel. Aus gutem Grund hat die Wohnungsbaugenossenschaft die Räume danach leer stehen lassen. Bis der Theologe und der Betriebswirt an einem verschneiten Wintertag davor standen: "Das ist es!"
Monatelang haben sie renoviert und auf dem Platz vor den Fenstern, den Obdachlose und vandalisierende Kinder belagerten, Erziehungsarbeit geleistet. Die Penner wurden gefragt, ob man die leeren Flaschen schon in den Müll werfen könne, den Kindern wurden Besen in die Hand gedrückt, wenn sie wieder die Blumen aus den Trögen herausrissen. Selbst das Bezirksamt hat irgendwann verstanden, dass der Wedding nur so kommt. Es hat die Bänke unter den Pergolen neu streichen lassen und die Kneipiers eingeladen, im Wirtschaftsausschuss mitzumachen.
An einem späten Sommernachmittag wurde das Schraders eröffnet. Eine halbe Stunde später war es voll. "Es ist, wie wenn man einen Korken aus der Flasche zieht", sagt Olaf Fehrmann, einer der Wirte. Alle kommen: die Hungerkünstler und die Weddinger Seelchen, die verbliebenen Intellektuellen und die Kinderreichen, Blondierte en masse und verliebte Busfahrer, heimliche Millionäre und arme Studenten. Freundlich grüßt man sich über die Tische hinweg, obwohl man sich zum ersten Mal sieht.
"Ist mir egal, ob man mich wiedererkennt", sagt die Frau, die gerne inkognito bleiben würde. Nie wollte sie eine Stammkneipe haben. "Endlich aber kann ich mich mit Freunden im Wedding treffen! Darum geht es." Das Aufatmen ist die eine Seite. Die andere: "Man fiebert mit, weil man Angst hat, dass es wieder einmal den Bach runtergehen könnte." Nicht irgendein Bach übrigens, die Panke ist gemeint.
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ZEIT Reisen 2003
Golden leuchtet der Herbst draußen und die Sonne
spiegelt sich am goldenen Tresen und auf den
goldenen Tischen des Cafés.
Zeit lesend, wandere ich zusammen mit
Bartholomäus Grill (Autor des Artikels) und
unserem imaginären Stadtführer Ermelindo Mucanga
(aus Unter dem Frangikanibaum von Mia Couro)
durch Maputo, Großstadt mit ruinösem Charme
voller Widersprüche zwischen Armut und Geld,
Glanz und Müll, Ambiente und Gestank, Boom und
Niedergang, Banken, Computershops und
Boutiquen...elenden Vorstädten, dreckig, vulgär
und voller Neid und Gier.
Ich lande bei eigenen Bildern zweier Metropolen:
Bamako und Dakar. Koloniale Reste in Sprache und
Baustil gepaart mit Geschichtsresten, modernem
urbanem Leben und der Gleichzeitigkeit eines
dörflichen Lebens.
Metropolen die in sich zwei widersprüchliche
Welten vereinen.
Unterschiedliche Entwicklungstände (im Spektrum
der Zeit normalerweise als linear Entwicklung
wahrgenommen) in einer Gleichzeitigkeit
dargestellt, die durch ihr direktes
Nebeneinander und die direkte Nähe, unvereinbar
erscheinen.
ein Straße gerichtet, rechts und links von
portugiesisch geprägten Wohnhäuser umrahmt.
Am Ende der Straße das Meer....Portugal ? Nein,
Afrika !
Ich fange an zu träumen, angesichts der sich
brechenden Sonnenstrahlen die auf meine Zeitung
fallen, spüre ich wieder für einen Moment Leben
und seine Dimensionen, uneingeschränkt zwischen
Müll und Glanz mit all seinen Widersprüchen und
seiner Lebendigkeit...
ehemaligen Staatschefs Samoa Machel heute mit
Nelson Mandela verheiratet ist. Ihr Mann ist, zu
Zeiten der Apartheid in Südafrika, auf
mysteriöse Weise ums Leben gekommen..
die Avenida Nyerere, Parolen rufend, mit wehende
DDR Fahnen.
Arnaldo Mendes ehemaliger Kranfahrer in
Eberswalde erklärt Herrn Grill :
Sechszig Prozent seines Arbeiterlohnes wurden
damals aus Ostberlin an das dortige
Arbeitsministerium überwiesen. Dann fiel die
Mauer und alle Arbeiter wurden heimgeschickt.
Das Geld war verschwunden ! Es geht um 16 000
Leiharbeiter und etliche Milliarden Meticais
(Währung in M.). Deswegen demonstrieren die
regressados jeden Freitag in Maputo.
welches die große Verwirrung dieser Stadt
beschreibt....
Café Schraders / S.77 Reisen)
Wer war Simone de Beauvoir ?
Zum Lachen bringt mich in der Rubrik "Chancen",
in der Wochenzeitung DIE ZEIT, daß ein
Hochschulabsolvent im Bewerbungsgespräch nicht
weiß wer Simone de Beauvoir war. Wäre ja
verzeihlich, wenn dieser Hochschulabsolvent
nicht auch noch beharrlich behauptete, er hätte
Simone de Beauvoir vor zwei Tagen in einer Talk
Show gesehen !
Anderen Studenten, denen diese kleine
Begebenheit erzählt wurde , konnten mit dem
Namen "Simone de Beauvoir" ebenfalls nichts
anfangen, meinten jedoch " ..in Betrieben, die
im Gespräch so etwas wissen wollten, würden sie
sowieso nicht arbeiten wollen."
Café Schraders /S.84 Chancen)
Nur ein Narr nimmt allen Plunder auf, über den
er stolpert, so dass das Wissen, das ihm nützen
könnte, von der übrigen Menge verdrängt wird.
beliebig viel Speicherkapazität.
muß Mensch absichtlich Vergessen ! Wer Unnützes
umgehend wieder loslässt, reserviert
Speicherplatz für Wichtiges...
schlecht, weil sie weniger gut vergessen !
versperrt den Weg fürs eigentliche Mobiliar....
Vergessen muß man innerlich bereit sein, die
entsprechende Information als irrelevant zu
definieren !
Café Schraders /S.84 Chancen)
Forschungergebnisse nun für mich unter
irrelevant abspeichern und dann vergessen.
Andere werden dies mit Simone de Beauvoir tun
oder auch mit Afrika.....oder hab ich da jetzt
was falsch verstanden ???
Herde, Horde - wo ist der Unterschied?
Hans W. Korfmann war Hirte auf Kreta. Heute lebt er in Kreuzberg.
Hier wie dort traf er auf Geschichten. In der "Kreuzberger Chronik"
schreibt er sie auf
WALTRAUD SCHWAB
Dieser Korfmann sitzt im Schraders. Die Kneipe ist im Wedding. Dort
hat Korfmann mal gewohnt. Aus seinem Mund ist kein schlechtes Wort
über seine Interimsheimat zu hören. In diesem Viertel nämlich hat er
die Berliner lieben gelernt. Als er anfing, ihr Leben
aufzuschreiben, ist er zum Journalisten geworden. Bis zum
Herausgeber der Kreuzberger Chronik, des einzigen Kultblatts eines
Berliner Bezirks, hat er es gar gebracht.
Aber so weit ist Korfmann noch längst nicht mit dem Erzählen, weil
Korfmann nicht erzählen kann. Er sitzt da in der Kneipe, links von
ihm blinkt eine Madonna, und rechts von ihm hängt ein Bild des
Gekreuzigten, dem Flügel wachsen, und man fragt sich, wozu, wenn
nicht aus einem Zuviel an Fantasie, aber Korfmann verpasst die
Chance, sich ins rechte Licht zu setzen.
Es ist nicht so, dass Korfmann nicht redet. Im Gegenteil. Vier
Stunden lang geht es um ihn und um sein Leben. Aber immer wenn er
meint, mitten in einer Geschichte zu sein, die er als konfliktreich,
kompliziert und komplex ankündigt, einer Geschichte von Ziegen zum
Beispiel, weil diese Tiere ihm was bedeuten im Leben, also kaum
fängt er an, von Ziegen zu reden, hört niemand mehr zu. "Ich meine
die Ziegen, das waren schon besondere Tiere. Ich frage mich, wie die
Schafhirten ihre Schafe auseinander halten konnten." Wo ist der
Unterschied? "Anders als Schafe glichen sich die Ziegen nicht",
antwortet er. Korfmann spricht gern im Imperfekt. Als schriebe er
das, was er sagt, in Wirklichkeit auf.
Am Imperfekt muss es liegen, dass Korfmann, der nicht Steinbock ist,
sondern Fisch, mit seinem Bier in der Hand beim Erzählen einfach
davonschwimmt. Deshalb dreht sich das Gespräch im Kreis, und dieser
Ex-Weddinger, der heute ein Kreuzberger ist, davor aber Gymnasiast
in Bochum war und Aussteiger auf Kreta - "Halt! Ich war kein
Aussteiger. Ich war Einsteiger" - nun gut, er war Einsteiger auf
Kreta, und wegen einer Frau soll er auch in Österreich gelebt haben
- dieser Korfmann kommt nicht zum Punkt. Das ist der Punkt.
Auf diese Weise lässt sich dann doch was über ihn erfahren. Etwa
wenn er, wie an diesem Abend immer wieder, von den Ziegenhirten
schwärmt und dass diese wunderbare Erzähler seien. Sie könnten aus
einer wahren Begebenheit einen mystischen Faden spinnen, ihn
verknoten und drehen und einem spannungsgeladenen Höhepunkt
zutreiben. Dann sei man glücklich. "Drei Minuten am Stück erzählten
die, und es war nicht langweilig." An der Stelle gelingt es Korfmann
doch, außergewöhnlich stark zu irritieren, denn drei Minuten, was
soll das, wo diese Hirten die ganze Nacht Zeit hatten? "Drei Minuten
können lang sein."
Auch über Ziegen kann man was lernen von Korfmann. Dass die, sobald
es hell wird, abhauen. Ein Zaun hindert sie nicht. Dann machen sie
sich auf Streifzug und landen direkt in den Weinbergen und
Olivenhainen, aber da dürfen sie nicht hin. Deshalb sind
Ziegenhirten Athleten. "Berg rauf, Berg runter", immer den Tieren
hinterher, die so schnell springen und frech weglaufen und
anatomisch den Menschen weit überlegen sind.
Allmählich wird klar: Korfmann war selbst Ziegenhirte auf Kreta.
Nach dem Abitur ist er losgezogen mit fünf anderen. Die Freiheit
suchen, sich selbst verwirklichen, Konsumverzicht, einfaches Leben,
wie das eben so ging Mitte der 70er-Jahre. Korfmann wollte
Schriftsteller werden, weil ihm selber schon aufgefallen war, dass
er nicht gut reden kann. Stattdessen ist er Ziegenhirte geworden. Am
Ende nannte er eine Herde von 40 Tieren sein Eigen und wohnte zehn
Jahre lang an einem Hang in einem Steinhaus. Manchmal auch mit Frau
und zwei Kindern.
Es war nicht Korfmanns Plan, Ziegenhirte zu werden, aber bereut hat
er es nie. Schriftsteller, die beackern einen unfruchtbareren Boden.
"Wahrscheinlich wäre ich immer noch da. Es war wunderschön." Warum
er nicht geblieben ist? "Das ist eine komplizierte Geschichte." Oh,
nicht schon wieder! Um es kurz zu machen: Sein Haus wurde
angezündet. "Heute denke ich, das ist doch archaisch, den Fremden
das Haus anzuzünden." Seine Täuschung: Er dachte, er wäre nicht
fremd.
Geblieben ist ihm aus jener Zeit, der agile Körper. Wenn er die drei
Stufen zum Klo im Schraders hochspringt, als wäre es eine kretische
Schlucht, strahlt er die Kraft eines Zehnkämpfers aus. "Heute
versuche ich, mit Badminton fit zu bleiben", gesteht er. "Nach jedem
Spiel spüre ich meine Knochen." So ist aus diesem Korfmann, der gern
mit Stirnband durch die Gegend läuft, was seine Eigenwilligkeit
unterstreicht, doch noch ein Stadtmensch geworden.
Es war übrigens in Österreich, wo er zum Stirnband kam. Viel mehr
scheint ihm davon nicht geblieben zu sein. Auch die Liebe, die ihn
dorthin führte, ist passé. Eine andere Liebe aber - denn Fische
schwimmen gern in fremden Gewässern - führte ihn im September 89
nach Berlin. Er kannte die Stadt noch nicht, da war sie schon eine
andere.
Die Liebe war das eine. Das andere: dass er in Berlin wieder einen
Roman schreiben wollte. Aber Korfmann ist keiner, der nicht flexibel
auf die Umstände reagiert. Anstatt Schriftsteller ist er erst mal
Hafenarbeiter geworden. Auf dem Bau hat er sich auch verdingt. Oder
mitten im Winter Straßen gepflastert, draußen in der Berliner
Wildnis. Gut, es gibt hier keine Berge, das Straßenklima aber ist
ebenfalls rau.
Irgendwie muss alles wieder wie damals auf Kreta gewesen sein, denn
erneut hat sich Korfmann die Geschichten seiner Kollegen angehört.
Sie haben ihm gefallen, denn das Herz dieses Mannes strebt den
kleinen Leuten zu. In Berlin hat er schnell eine Horde von ihnen
zusammengehabt. Den kleinen Herrn Coban mit der spitzen Nase und den
freundlichen Augen, den französischen Neapolitaner vom Copyladen,
die Bauchtänzerin von der Nordseeküste, den Obdachlosen unter der
Kottbusser Brücke, solche Menschen eben. "Kleine Leute haben auch
Geschichte. Man kann zeigen, wie schwer sie es haben." Herde, Horde
- wo ist der Unterschied?
Weil Korfmann schreiben kann, gut schreiben kann, hat er sie alle
porträtiert. Nicht nur eins zu eins aufgeschrieben, was die gesagt
haben, hat er, sondern ihr Leben eingepackt in Spannung und
Höhepunkt und Plot. Etwas Beschwörendes haben seine Texte, wie eine
Litanei, wie ein Singsang, der in Trance versetzt. Kein Mensch sei
neugierig auf die kleinen Leute, da muss man sie neugierig machen.
Korfmann ist ein Könner auf dem Gebiet. Denn wenn er aufschreibt,
was er sagen will, wird er doch plötzlich zum Erzähler. Mit viel
Liebe enthüllt er dabei den Funken, der selbst in einem verpfuschten
Leben noch glüht.
Als Korfmann aufhörte, an den Roman zu glauben, schickte er seine
Texte von den kleinen Leuten an die Zeitungen. Die waren begeistert,
wollten sie haben. Die Geschichten vom kleinen Mann sind das